Ich glaube, über kaum ein Thema wurde in den letzten Jahren so viel geschrieben, diskutiert, gepostet und kommentiert wie über den 24h Heuzugang für Pferde. Mittlerweile weiß fast jedes Kind, dass das Pferd ein Dauerfresser ist und eigentlich immer etwas zu Fressen braucht. Dass es seiner Gesundheit zuträglich ist und es psychisch gelassener macht.
Aber: Wie richtig und wichtig ist das denn nun wirklich? Leben nicht auch viele Pferde mit 2-3 Portionen Heu am Tag und sind auch gesund? Ist jedes Pferd, das portionsweise gefüttert wird gefrustet, hysterisch und schlecht gelaunt? Werden Pferde bei 24h Heu und wenig Arbeit nicht zu dick? Und welche Rolle spielt dabei der Pferdetyp?
Pferde sind Steppentiere und ernähren sich von Steppengras, welches sie Tag und Nacht suchen und zu sich nehmen. So weit so gut. Steppengras sieht aber keinesfalls so aus wie das Gras bei uns auf der Weide! Steppengras hat wenig Nährwert, wenig Zucker und es wächst auch nur sehr spärlich….die Pferde sind also sehr lange beschäftigt, sich ihren Tagesbedarf an Gras zu sammeln. Dass sie dabei weite Strecken (im Schritt mit Kopf unten, so nebenbei erwähnt) zurücklegen, darf auf keinen Fall vergessen werden! Denn letzteres sorgt auch dafür, dass viele Kalorien auch gleich wieder verbrannt werden – was das viele Fressen auch rechtfertigt! Das ist auch neben der Grasbeschaffenheit der größte Unterschied bei dem Ganzen: Pferde, die in der Box oder auch im Offenstall an einer Heuraufe stehen, bewegen sich dabei nicht weniger als Steppenpferde – sie bewegen sich meistens GAR NICHT! Eine Stunde reiten am Tag fällt unter „leichte Arbeit“, selbst wenn viele sportlich ambitionierte Reiter glauben, dass ihre Pferde mega viel leisten müssen. Schwere Arbeit wäre zB. Holzrücken im Wald oder ein Vielseitigkeits-Geländeritt der Klasse S. Dinge also, die Otto Normalverbraucher mit seinem Pferd eher nicht täglich macht.
Was passiert nun mit dem Pferd, wenn es immer Heu zur Verfügung hat? Nun, erstmal ist es wahrscheinlich satt und zufrieden! Soweit so gut! Aber – je nach Pferdetyp und Heubeschaffenheit – ist es vielleicht auch ziemlich fett, wenn es nicht viel arbeitet. Hier kommt der Pferdetyp ins Spiel: Ein Vollblüter verträgt die 24h Heu meist ohne Probleme, im Gegenteil, es ist sogar meistens die einzige Möglichkeit, ein bisschen Gewicht draufzufüttern. Super für Pferd und Besitzer – alle happy!
Aber was ist zum Beispiel mit den „typischen“ Freizeitpferden: Haflinger, Fjord, Quarter und Huzule? Das sind tendenziell die, die zur Adipositas neigen! Die schon beim Anschauen der Wiese dick werden. Die besonders gerne fressen und es besonders schlecht vertragen. Dürfen die keine 24h Heu haben? Oder müssen sie aus engmaschigen Netzen fressen?
Die Antwort lautet: Man muss es ausprobieren und dann individuell entscheiden. Leider gibt es da keine Patentlösung! Viele Pferde fressen erst sehr viel und gewöhnen sich dann daran, dass immer etwas da ist…das lässt sie entspannen und sie machen ihre Pausen dann von selbst. Manche hören aber auch gar nicht auf zu fressen – auch nicht nach mehreren Wochen! Bevor das Pferd platzt oder mit einer fetten Hufrehe da steht, sollte man auf jeden Fall die Notbremse ziehen!
Fakt ist: Bei 24h Heu und dem sogenannten „Nordpferdetyp“ (also Isländer, Haflinger, Pony,…) ist regelmäßige Arbeit auf jeden Fall extra-notwendig. Ob sie trotz Arbeit zu dick werden, muss man sich anschauen. Netze über dem Heu sind zwar für die Zähne nicht ganz optimal, und oft auch für die Fresshaltung nicht, jedoch muss man – wie überall – Kompromisse schließen und entscheiden, was einem wichtiger ist: Dass das Pferd das Beste für die Verdauung tut, oder dass die Zähne gesund sind und die Muskulatur keine Verspannungen von den ruckartigen Bewegungen beim Aus-dem-Netz-fressen bekommt. Auch das wird immer eine individuelle Entscheidung sein!
Sollte man Netze verwenden, ist auf die richtige Maschenweite zu achten: Die Pferde sollten mit 1-2mal zupfen das Maul voller Heu haben. Da gibt es geschicktere Pferde und ungeschicktere…. Es empfiehlt sich, hier ein bisschen Zeit in die Beobachtung zu investieren, denn oft sind die Pferde, die eher ungeschickt sind, schnell frustriert wenn die Maschen zu klein sind! Entweder sie schmeißen das Netz dann sehr unkontrolliert und wild durch die Gegend, was gegebenenfalls arge Verspannungen auslösen kann….oder sie hören überhaupt auf zu fressen, was natürlich auch nicht der Sinn der Sache ist! Oftmals lernen die Pferde das Aus-dem-Netz-fressen aber, wenn man mit etwas größeren Maschen beginnt und dann immer kleinere nimmt.
Zuletzt möchte ich noch erwähnen, dass nicht nur Heu als Raufutter gilt – auch Stroh und/oder gut verträgliches Gehölz (Knabberäste) können durchaus verfüttert werden und in eventuellen Heu-Pausen (zB bei portionierter Heufütterung) zur freien Verfügung gestellt werden. Wichtig ist, dass die Pferde immer etwas zu knabbern haben bzw. dass die Fresspausen nicht zu lange sind. Und dass das Fütterungskonzept für das Pferd bzw. die Gruppe passt. In einem Offenstall muss die Herde also so gewählt sein, dass Pferde mit ähnlichen Fütterungsanforderungen zusammen stehen.
Im nächsten Artikel geht’s um den Verdauungsapparat und darum, warum Fresspausen von über 4 Stunden als gesundheitsrelevant gelten. Freu mich drauf