Wir, oder zumindest die älteren Semester unter uns, kennen das Bild: Große, schöne Reithalle, gut besucht….und mindestens die Hälfte aller Pferde hat einen Schlaufzügel eingeschnallt. Oft sogar vom Trainer verordnet. Fragt man die Reiter/Besitzer nach ihren Beweggründen für den Schlaufzügelgebrauch, hört man die verschiedensten  Dinge:

– Mein Trainer hat gesagt, mein Pferd braucht den.
– Mein Pferd ist immer so gut drauf, ich kann den sonst nicht halten.
– Ohne den Schlaufzügel hab ich seinen Kopf im Gesicht, der will einfach nicht durchs Genick gehen!
– Mein Reitlehrer hat gesagt, ich soll einen Schlaufzügel nehmen, damit ich besser sitzen lerne…das Pferd geht ja damit viel besser über den Rücken!

Die Liste lässt sich noch fortsetzen… Leider gibt es hier scheinbar sehr hohen Nachholbedarf, was Pferdeanatomie und -ausbildung betrifft.
Natürlich ist der Schlaufzügel ein „Quick Fix“ – das Pferd nimmt den Kopf runter, das wollen wir doch! Oder? Nun…ganz so einfach ist es dann doch nicht. Ich versuche, ein Stück weiter auszuholen.

Beginnen wir mit der Ausbildungsskala, die ja jedem Reiter ein Begriff sein sollte. Die meisten haben zumindest schon einmal etwas davon gehört. Der erste Punkt in der Ausbildungsskala ist der Takt. Was bedeutet das? Jeder Schritt, Tritt und Sprung soll gleich sein wie der vorhergehende. Erst wenn gewährleistet ist, dass das Pferd sich soweit ausbalancieren kann, dass der Takt hergestellt ist, gehen wir weiter und legen unser Augenmerk auf den nächsten Punkt, die Losgelassenheit. Aber halt: Mit dem Schlaufzügel bleiben wir vor allem bei jungen Pferden ja oft schon beim ersten Punkt hängen, denn – wie funktioniert das nochmal mit dem Ausbalancieren? Richtig – zum Ausbalancieren braucht das Pferd seinen Hals und Kopf, sozusagen als Balancierstange. Dies ist der Grund, warum junge Pferde oft noch nicht konstant in der Anlehnung bleiben können: Sie brauchen Hals und Kopf noch, um das Reitergewicht und ihren eigenen Körper (der sich in jungen Jahren oftmals noch verändert, vergleichbar mit einem Jugendlichen) in Einklang zu bringen und müssen sich dafür auch mal rausheben oder einrollen dürfen! Wird das Pferd nun mittels Schlaufzügel in ein „Förmchen“ gepresst (das oftmals die ganze Reiteinheit lang ohne Pause aufrechterhalten wird!), fällt diese Balancierstange komplett aus und der Takt ist eines der Dinge, die darunter leiden wird.

Gehen wir weiter zum zweiten Punkt auf der Ausbildungsskala, der Losgelassenheit. Wir wollen erreichen, dass das Pferd sich vertrauensvoll fallen lässt und locker in seinen Bewegungen vertrauensvoll an das Gebiss herantritt – womit auch gleich Punkt 3, die Anlehnung mit ins Spiel kommt. Wir wollen eine Dehnungshaltung des Pferdes, ein Vorwärts-Abwärts, eine Haltung, in der der Rücken bestmöglich zum Schwingen kommt. Stellen wir uns den Schlaufzügel vor, einen Hebel, mit dem ich Kopf und Hals des Pferdes herunterziehe und in das Förmchen presse….wie wird es mit dem Vertrauen des Pferdes wohl aussehen? Glauben wir wirklich, dieses Ziel so erreichen zu können? Abgesehen davon funktioniert dieser Kreislauf leider nur von hinten nach vorne und nicht umgekehrt… dh. aktive Hinterhand, schwingender Rücken, Kopf in Arbeitshaltung. Und nicht umgekehrt!

Weiter geht es mit dem Schwung. Dazu müssen wir ein bisschen in die Anatomie des Pferdes abschweifen und erstmal erklären, wie denn die Schwungentwicklung beim Pferd funktioniert. Der „Motor“ des Pferdes ist die Hinterhand mit ihrer sehr kräftigen, fleischigen Muskulatur. Hier werden große Kräfte freigesetzt, die dann über das Iliosakralgelenk auf den Rücken umgeleitet und mit der Vorhand aufgefangen werden. Durch ein Herunterziehen des Kopfes in eine nicht physiologische Position (denn Pferde, die mit Schlaufzügel geritten werden, gehen fast ausnahmslos hinter der Senkrechten, mit falschem Knick im Hals) verhindern wir jedoch, dass die Hinterhand diese Kräfte nach vorne übertragen kann – die Kraft wird nicht durch ein weites Untertreten nach vorne gebracht, sondern nach hinten raus geschoben. Das Becken kippt ab und wird flach, der Rücken kann so nicht schwingen….aus ist es also auch mit dem Schwung.

Eigentlich können wir uns den Rest der Skala (also Geraderichten und Versammlung) schon sparen, denn selbst bei dieser sehr, sehr oberflächlich gehaltenen Erklärung wird klar, dass es so einfach nicht funktionieren kann. Ich bin mir nicht sicher, ob der oftmalige Einsatz des Schlaufzügels hauptsächlich aus Bequemlichkeit oder Unwissenheit der Reiter und Trainer passiert…ich hoffe aber sehr, dass sich mit der Zeit ein Bewusstsein schaffen lässt, das den Schlaufzügel endgültig seiner momentanen „Funktion“ entbindet. Für alle oben genannten Indikationen gibt es deutlich bessere Lösungen. Kein Pferd „braucht“ einen Schlaufzügel, und sollte der Reitlehrer nichts dazu gesagt haben, hinterfragen wir doch einfach mal diese Entscheidung. Wenn das Pferd sich ohne Schlaufer nicht halten lässt, beleuchten wir doch mal die Haltungsbedingungen. Geht das Pferd nicht durchs Genick, hat das bestimmt nichts mit wollen zu tun – hier muss einfach untersucht werden, woran das liegt, hierbei kann ein Physiotherapeut oder Osteopath helfen. Und Sitzen lernt man ohnehin am besten an der Longe, ohne dabei einen Zügel in der Hand zu halten.

 

 

 

 

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