Gerade heute, als ich auf meinem Youngster saß und mich darüber freute, dass er mittlerweile ganz gut um die Kurve kommt, kam mir so einiges in den Sinn, das ich mir gern mal von der Seele schreiben würde….und was wäre ein besseres Format dafür, als mein neuer Blog!

Ich bin ja eine sehr „klassisch“ ausgebildete Reiterin…und mit klassisch meine ich nicht akademisch, sondern eigentlich FN-klassisch nach der Ausbildungsskala, mit zuerst Geradeaus gehen und später erst seitwärts, mit viel vorwärts-abwärts und später erst aufrichten und mit vielen großen Linien, bevor diese allmählich kleiner und enger werden. Und ich bin auch der Meinung, dass diese Ausbildungsweise am besten funktioniert.

Takt-Losgelassenheit-Anlehnung-Schwung-Geraderichten-Versammlung

Immer sollte man die Ausbildungsskala vor Augen haben! Man muss nicht dogmatisch handeln, aber diese 6 Begriffe sollten einem bei jedem Pferd, das man reitet oder ausbildet jederzeit im Kopf herumschwirren.
ABER ich finde auch, dass es sehr viele Reiter und Ausbildner gibt, die bei eben dieser „FN-Reitweise“ ein viel zu strenges Schema F anwenden bzw. anzuwenden versuchen. Auch in diversen Facebook-Gruppen verteilen sog. Fachleute Ratschläge, über die ich oft nur staunen kann, teils weil sie der Ausbildungsskala sowieso widersprechen, teils weil sie einfach sehr starr und unflexibel sind.
Ich bin der Meinung, dass kein strenges Schema bei Lebewesen funktionieren kann, sei es ein Kind, ein Hund oder ein Pferd….es muss immer aufs Individuum geachtet werden und es gibt nicht EINEN Weg, sondern viele. Manchmal kennt man den Weg auch nicht im Vorhinein, sondern entdeckt ihn erst währenddessen…das ist normal, das darf so sein und es macht den Reiter zu einem besseren Pferdemenschen, wenn er das erkennt. Ich versuche, es an einem persönlichen Beispiel zu erklären:

Wie ihr wisst (wenn ihr es nicht wisst, schaut mal schnell auf die „Über mich“ Seite) habe ich gleich 2 junge Pferde, beides Haflinger und unterschiedlicher wie Tag und Nacht.
Nikki, der ältere, ist 6,5 Jahre alt, er ist das lustigste Pferd, das ich kenne, ein Clown sondergleichen, super frech, mega schnell von Begriff, immer motiviert zu arbeiten, sehr fleißig, sehr selbständig, für einen Haflinger eigentlich gar nicht stur, leider aber auch nicht ganz zuverlässig. Man kann alles mit ihm machen, aber man muss ihn sehr gut kennen, um abschätzen zu können, ob das an dem jeweiligen Tag auch Sinn macht und ungefährlich ist.
Lego, das Baby, ist 5 Jahre alt und das komplette Gegenteil von Nikki (außer die lustige Frechheit, die hat er auch, die hat er sich einfach abgeschaut!) Er ist nicht dumm, aber er lernt sehr langsam, ist verschmust und anhänglich wie ein Hund, aber mega stur und ein Riesen-Faulsack, wenn er den Sinn hinter der gewünschten Lektion nicht erkennt. Er ist nicht schreckhaft und viel verlässlicher als der Große.

Auch ausbildungsmäßig gibt es riesige Unterschiede zwischen den beiden. Nikki war mit 3,5 Jahren schon so weit, dass ich ihn zumindest anreiten konnte. Ich bin vielleicht 10mal draufgesessen, dann konnte er Gas, Bremse, Lenkung und hat sich bereits brav nach vorwärts-abwärts gestreckt, wenn er es mit seinem Gleichgewicht verantworten konnte – was erstaunlich häufig der Fall war! Er hat einen langen und gut angesetzten Hals, einen langen Rücken und ist überhaupt sehr vorteilhaft gebaut. Mit 4 haben wir dann begonnen, „richtig“ zu reiten und er hatte mit dem Gleichgewicht wirklich sehr wenige Probleme, nur der Galopp fiel ihm lange Zeit schwer.

Lego sah mit 3,5 noch nicht so aus, als dass man ihn arbeiten hätte können und auch im Kopf war er noch weit zurück…ich habe ihn also überhaupt erst mit 4 anlongiert und bin dann ein paarmal draufgesessen, damit er einmal das Reitergewicht kennt. Dann hab ich ihn wieder weggestellt und es mit 4,5 nochmal versucht. Am längsten hat die Installation des Gaspedals gedauert…weil er ja ein kleiner Fauli ist. Nachdem ich mir dann den Fuß gebrochen hatte, folgte wieder eine Zwangspause von 3 Monaten. Jetzt ist er 5 und ich reite seit ein paar Wochen wieder. In der Pause ist der Zwerg wohl gewachsen und gereift, er kann plötzlich viel besser um die Kurve gehen, sein Gleichgewicht hat sich verbessert…er kann an der Longe auf beiden Händen galoppieren und streckt sich am Kappzaum auch oft nach vorwärts-abwärts. Aber beim Reiten….da hat er die Nase irgendwo, nur nicht da, wo man sie haben will, von vorwärts-abwärts keine Spur. Er ist sehr kurz im Rücken und im Hals, was bedeutet, dass er sich viel schwerer tut als der Große, mein Gewicht auf seinem Rücken auszubalancieren. Er braucht seinen Hals, nutzt ihn als Balancestange….und das ist normal und darf so sein!

Laut FN-Reitweise hätte ich ihn ja bereits mit Ausbindern longieren müssen (was ich definitiv NIE mache), und dann würde er jetzt bereits wissen, dass er in einer bestimmten Haltung gehen soll. Ja, aber….ich will doch, dass das Pferd von HINTEN nach vorne geht und nicht umgekehrt! Ich will nicht den Kopf haben, sondern den Rücken! Und das geht nunmal nicht, indem ich den Kopf in eine Haltung bringe, sondern das geht nur und ausschließlich so, indem ich zuerst den Takt und die Losgelassenheit erarbeite! Lego macht öfter mal einen Taktfehler, einfach, weil er das Gleichgewicht noch nicht hat – und ich werde einen Teufel tun, dieses Problem durch meine Hand oder einen Hilfszügel zu beheben zu versuchen! Er bekommt die Zeit, die er braucht – und ich denke, es wird noch ein bisschen dauern. Das macht nichts. Ich hab´s nicht eilig. Er ist 5 und er muss nicht mit 6 M-fertig sein, warum auch? Vielleicht versuche ich an der Longe mal einen Dreieckszügel (sicher keinen starren Ausbinder!), einfach um zu probieren, wie er den annimmt. Aber bei jeder kleinsten Reaktion dagegen, kommt der sofort wieder raus! Ich möchte, dass mein Pferd freiwillig an den Zügel herantritt und zwar von hinten! Und wenn das noch ein bisschen dauert, dann ist das so. Er wird es lernen. Jedes Pferd, das ich angeritten habe (und das waren mittlerweile echt sehr viele), hat es gelernt, eins früher, eins später….die kurzen Pferde tendenziell immer später, weil die es einfach schwerer haben.

Was ich damit sagen will:
Bitte lasst euren jungen Pferden Zeit, hört ihnen zu und macht viel Abwechslungsreiches mit ihnen….sie werden es euch danken und mit der Zeit super Reitpferde werden, die freiwillig ans Gebiss herantreten! Und wer will nicht ein Pferd, das ganz leicht im Maul ist und von selber vorwärts geht!? Das ist das tollste Gefühl überhaupt…und wir können es alle haben, wenn wir nur geduldig sind!

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