Gerade vergangene Woche habe ich einen Artikel auf Facebook gelesen (und geteilt), der sich im Ansatz mit diesem Thema befasst hat…er hat mir sehr gefallen, darum wollte ich auf diese Problematik noch einmal aus physiotherapeutischer Sicht eingehen.

Wie lange wachsen Pferde? Ab wann kann ich sie körperlich (aber auch geistig) belasten, ohne dass sie daran Schaden nehmen? Worauf muss ich besonders achten? Was sind die häufigsten Schäden, die durch zu frühe Belastung am Bewegungsapparat entstehen?

Wie lange ein Pferd wächst, ist gar nicht so leicht zu beantworten, da die verschiedenen Knochen nicht gleichzeitig aufhören zu wachsen und es hier auch individuell große Unterschiede gibt. Manche Röhrenknochen sind bereits mit einem Jahr ausgewachsen, andere wachsen sehr lange. Manche Pferde wachsen schnell und bleiben früh stehen, manche wachsen langsam und kontinuierlich.

Einer jener Knochen, der beim zukünftigen Reitpferd eine große Rolle spielt und relativ spät zu „wachsen“ aufhört, ist das Kreuzbein. Dieses verknöchert im Alter von 4-5 Jahren, davor ist es knorpelig und weich und noch nicht voll belastbar. Da das Kreuzbein ein Teil des Beckens und dadurch mit der Wirbelsäule verbunden ist, hat es auf die Funktion des Pferdes als Reittier durchaus einen bedeutenden Einfluss. Heißt das nun, dass man ein Pferd vor 5 Jahren nicht anreiten darf? Das heißt es nicht so pauschal. Aber es heißt, dass man darauf achten sollte, was man mit dem jungen Pferd wann, wie und wie lange macht! Anreiten heißt, das Pferd vorsichtig an das Reitergewicht gewöhnen, Gas, Bremse und Lenkung vorinstallieren und wieder wegstellen, zum Verarbeiten und Verdauen des Gelernten. Ab auf die Wiese in die Herde, wo ein Jungpferd hingehört. Anreiten ist in 10mal 5-10 Minuten draufsitzen erledigt. Zum Anreiten gehört nicht, dass das Pferd in Anlehnung in allen 3 Gangarten eine halbe Stunde lang gehen muss!

„Richtiges“ Wachstum sollte spätestens mit 6 Jahren eigentlich abgeschlossen sein, in die Höhe können Pferde dennoch auch später noch gehen, denn auf den Dornfortsätzen der Brustwirbelsäule sind Knorpelkappen gelagert, die erst im Alter von ca. 10 Jahren verknöchern. Dies ist jedoch kein Wachstum im herkömmlichen Sinn, denn die Wachstumsfugen der Knochen sind in dem Alter bereits auf jeden Fall geschlossen.

Ob man das Pferd bereits mit 3,5 oder erst mit 5 anreitet, muss sehr stark davon abhängen, wie das Pferd gerade aussieht. Ist der Rücken annähernd gerade oder das Jungtier stark überbaut? Sieht es „fertig“ aus oder wie ein Fohlen mit sehr schmaler Brust und langen Beinen? Wie groß sind die Hufe?…

Und auch davon, wie weit entwickelt es geistig ist. Wie lange schafft es sich zu konzentrieren? Hat es Interesse zu Arbeiten oder sind ihm andere Dinge noch viel wichtiger? Kann es bereits allein von der Herde weggehen? Wie benimmt es sich allein auf dem Reitplatz? Ist es überfordert mit alltäglichen Situationen oder meistert es diese bereits recht souverän?…. Mit „souverän meistern“ meine ich nicht, dass man das Pferd tagelang allein in eine Box sperrt, bis es resigniert und deshalb nicht mehr schreit – nein, ich meine damit, dass das Pferd aus freien Stücken bereit sein muss, mit seinem Menschen mit und von seinen Kumpels weg zu gehen. Das kann man bereits lange vor dem Anreiten mit dem Jungpferd üben und man wird merken, wann es soweit ist, dass man mit ihm arbeiten kann.

Belaste ich ein Jungpferd zu früh, sind Folgeschäden sehr wahrscheinlich. Leider viel zu oft findet man 4-5 jährige Pferde, die bereits den ersten Sehnenschaden (hoffentlich wenigstens auf der Weide) auskurieren…oder bereits eine Überbein-OP hinter sich bringen müssen. Beides Dinge, die oft vermeidbar wären…

Die gängige Praxis, Hengstkörungen bereits im Alter von 2,5 Jahren durchzuführen, trägt hier nicht gerade dazu bei, die Menschen einen vernünftigeren Umgang mit jungen Pferden zu lehren! Die Hengste müssen bei der Körung ja etwas „gleichschauen“, also werden sie intensiv gefüttert und bereits mit 2 Jahren regelmäßig longiert, im schlimmsten Fall sogar angeritten, damit sie sich mit einer guten Reitpferdefigur präsentieren können – eine sehr traurige und fragwürdige Entwicklung! Selbst wenn die Hengste nach der Körung noch ein Jahr Zeit bekommen, um zu wachsen und zu reifen – die Schäden, die das frühzeitige Longieren am Bewegungsapparat hinterlässt, sind nicht mehr wettzumachen! Ein normaler 2-jähriger sieht aus wie Lego auf dem Bild oben: Unfertig, unförmig, klein. Natürlich gibt es Unterschiede (und nicht jeder hat so ein Kugelbäuchlein…), aber unfertig und unförmig gilt eigentlich fast für alle 😉 Lego kam auf dem Foto frisch von der Alm – wo junge Pferde ihre Jugend genießen können und dabei ganz natürlich ihre Muskulatur trainieren, abseits von Longe und Sattel!

Mein Appell an alle, die mit dem Gedanken spielen, sich ein Fohlen oder Jungpferd zu kaufen: Bitte macht das nur, wenn ihr die Geduld aufbringen könnt, mit dem Arbeiten zu warten, bis euer Pferd so weit ist! Wenn ihr bereit seid, es in eine passende Herde zu stellen, wo es wachsen, gedeihen, spielen und lernen kann. Und wenn ihr eine/n Fachfrau/-mann an der Seite habt, die/der euch später hilft, das Pferd zum Reitpferd auszubilden.

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